Automobilwerbung: Mit Vollautomatik in die Falle

Automobilwerbung: Mit Vollautomatik in die Falle

Die Automobilhersteller liefern sich in der Werbung einen Wettbewerb um die spannendsten und emotionalsten Stories für ihre Assistenz-Features. Und verstricken sich dabei immer mehr in ein heikles Dilemma ihrer technologischen Innovationen: sie befähigen fahrerisches Können nicht mehr, sondern reduzieren es auf das Einschalten von Hilfsfunktionen. Das kränkt auf Dauer die Autonomie und Machtambitionen der Zielgruppe, ganz besonders im Premiumsegment. Und es entzieht das Glück, das fahrerisches Können produziert.

Die Werbespots für die Car Lines der Automobilhersteller strotzen nur so vor entlastenden Assistenz-Features unter dem Label „Intelligent Drive“: Fernlicht-Assistent, Lenk-Assistent, Spurhalter-Assistent, Totwinkel-Assistent, Kreuzungs-Assistent, Verkehrszeichen-Assistent, Park-Assistent, Brems-Assistent, Querverkehr-Assistent und so weiter. Viele dieser Features sind im übrigen nahezu klassenlos: sie sind auch in der Mittelklasse inzwischen Standards.

Am Ende fragt man sich: was muss eine Autofahrer in Zukunft eigentlich noch können? Muss er als Fahrer überhaupt noch intelligent sein, wenn es das Auto doch ist? Und was bedeutet das für die Beziehung zwischen Automarke und Fahrer, wenn das HighTech-Können der Automobilhersteller keine Schlüsse mehr auf das fahrerische Können und Image der Fahrer zulässt, sondern allenfalls noch auf die Größe seines Geldbeutels, weil die technologische Rundum-Automatik im Namen der Sicherheit natürlich jede Menge Geld kostet? Zugespitzt könnte man sagen:

Die Marke profiliert sich mit ihren Assistenz-Features auf Kosten ihrer Fahrer.

Das betrifft in besonderer Weise die Marke Mercedes-Benz, deren Markenmythos in der zukunftsweisenden Kombination aus zeitloser Eleganz und einzigartigen Innovationen liegt.  Für die Pflege dieses Mythos ist es unerlässlich, die Innovationswahrnehmung permanent auf einem überlegenen Level zu halten und gerade bei dem Thema Führung zu beweisen, das für eine anspruchsvolle Klientel allerhöchste Relevanz hat: das ausgeprägte Bedürfnis nach automobiler Sicherheit als Ausdruck von Kontrollvermögen und Macht.

Das Verhängnis: Für das Sicherheitspaket gibt es eine kritische Masse, ab der die Sache kippt; je mehr Sicherheits-Features fahrerisches Können entwerten und je mehr andere Hersteller mit weitaus weniger Reputation diese ebenfalls auffahren, desto mehr verfehlen sie ihre Ausweisfunktion für die Elite. Das ist eine schwere Belastungsprobe für das Verhältnis zwischen ambitionierten Fahrern und ihrer Automobilmarke.

Im Kern liefern diese Assistenz-Features außerdem Glücksentzug. Die Positive Psychologie definiert Glück als einen Erlebniszustand, in dem jemand hoch konzentriert in einem anspruchsvollen Tun aufgeht, das Freude bereitet – das ist der sogenannte Flow, ein Zustand optimaler Leistungsfähigkeit. Das Fahren von High Tech-Limousinen ist ein Paradebeispiel für einen solchen glückstiftenden Flow, wenn er dem Fahrer alles abverlangt: Können und Konzentration auf höchstem Niveau. Als Fahrgast eines autonom fahrenden Autos verliert er dieses sinnliche Erlebnis.

Vielleicht ist das das eigentliche Dilemma der Marke Mercedes-Benz: die von ihr perfektionierte Methode des Storytellings rund um technologische Assistenz-Features steckt in der Falle fest, dass sie in der Summe das fahrerische Können abwerten. Die ultimative Zuspitzung dieses Konfliktes liegt im autonomen Fahren, das für Passivität und nicht für aktives Können des Fahrers steht. Das hinterlässt eine Lücke für die Profilierung des Fahrers, und diese Lücke kann nicht technologisch geschlossen werden, sondern nur durch eine neue Wertegemeinschaft zwischen der Premiummarke und ihren Kunden.

Aus der Perspektive der Positiven Psychologie liegt die Suchrichtung dafür in einem gemeinsamen Engagement für einen höheren Sinn. Was Marke und Zielgruppe gemeinsam haben, ist ihr unbedingter Wille zum Erfolg durch Höchstleistungen, jeder auf seinem Gebiet, immer mit dem unbedingten Willen, etwas im Sinne der eigenen Vision zu bewegen und zu erreichen. Dabei entstehen neue Flows. Die neuen Helden sind die, die dafür eigene Grenzen überwinden und immer höhere Leistungsstufen erklimmen. Ohne allzu verbissenen Ehrgeiz, immer auch spielerisch. Und immer so, dass sich die eigene Persönlichkeit zwar weiterentwickelt, aber nie ihren stabilen Kern verliert.

Für die Bewerbung der Assistenz-Features bliebe dann immer noch Platz im Rahmen der Konfiguratoren im Internet.

 

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