Angstbewältigung durch gezieltes Brain Tuning
Wird in einer bestimmten Situation außergewöhnlich viel Stress erlebt, wird diese zu einer subjektiven Gefahr – auch wenn der Stress nur bedingt mit der Situation zusammenhängt. Das Gehirn speichert dann situative Angstsignale, die es in der Folgezeit auch dann abgibt, wenn es objektiv gar keine wirkliche Gefahr gibt. Manchmal reichen ein oder zwei schlechte Erfahrungen, um das Gehirn in Bezug auf bestimmte Situationen entsprechend falsch zu programmieren. Um den Hebel wieder umzulegen, muss das Gehirn neu konditioniert werden, und zwar durch eine sanfte und schrittweise Konfrontation mit dem Angstfaktor.
Die Online-Plattform „Greater Good in Action“ der amerikanischen Universität Berkeley bietet zahlreiche wissenschaftlich getestete Trainingseinheiten für den Weg zu einem erfüllteren Leben an. Dazu gehört auch die Übung „Overcoming a fear“, die gerade vor dem Hintergrund der vielen globalen Krisen und den damit verbundenen Ängsten eine besondere Relevanz hat. Hier der kurze Überblick über Sinn, Inhalt und Effizienz der Übung:
1) Sinn der Übung
Es gibt zwei Arten von Ängsten:
– die, die als Reaktion auf eine wirkliche Gefahr entstehen – dann muss man diese Gefahr bändigen;
– die, die aufkommen, obwohl es gar keine echte Gefahr gibt.
Letztere können unser Leben erheblich blockieren und einengen. Das betrifft bspw. die Angst vor öffentlichen Reden, Flugangst, Höhenangst, Angst vor dem Meer. Die häufigsten Abwehrstrategien gegen diese Ängste sind meistens nicht sehr erfolgreich:
– Konzentration auf rationale Argumente gegen das jeweilige Angstphänomen („Flugzeuge oder Kletterer stürzen so gut wie nie ab“),
– Vermeidung der Angstsituation mit dem Ergebnis einer Beschränkung der persönlichen Möglichkeiten und Perspektiven.
Wissenschaftliche Studien weisen einen ganz anderen Weg aus der Angst: die sanfte und schrittweise immer intensivere Konfrontation mit der Angstsituation. Dabei kommt es zu einem Re-Training des Gehirns mit dem Effekt, dass eine positive Beziehung zu dem aufgebaut wird, was einem vorher Angst machte. Diese Erfahrung stärkt schließlich das Selbstvertrauen durch die Erkenntnis, dass man viel mehr schaffen kann als man sich vorher zugetraut hat, und genau das ist eines der höchsten Glückserlebnisse.[1] So wird Angst in Zuversicht transformiert und alte Limitierungen lösen sich auf.
Diese dynamische Konfrontationsstrategie empfiehlt sich allerdings nur für milde Alltagsängste. Tiefergehende mentale und psychische Angststörungen müssen natürlich mithilfe von Ärzten und Therapeuten behandelt werden.
2) Inhalt der Übung
a) Starte die Konfrontation mit angsterregenden Aktivitäten in kleinen Dosen und in einem sicheren Umfeld. Beispiele: wenn öffentliche Reden nervös machen, sollte man eine weniger druckvolle Sprechgelegenheit mit einem kleinen, unterstützenden Zuhörerkreis suchen, wo es nicht auf die letzte Perfektion ankommt – z.B. ein Toast auf einen Freund bei einer Geburtstagsfeier; wer Höhenangst hat, sollte vielleicht zunächst damit anfangen, andere Kletterer zu beobachten; oder wer Angst vorm Meer hat, sollte sich den Wellen zunächst in einer sicheren Brandung am Strand stellen.
b) Wiederhole das solange, bis sich das Gefühl einstellt, die Angst würde geringer werden. Je öfter man die Übung wiederholt, desto positiver werden die Assoziationen mit der ursprünglich angsterregenden Situation. Je öfter man beispielsweise sieht, dass ein Kletterer nicht abstürzt, desto mehr wird die Höhenangst von positiven Gefühlen überdeckt. Je öfter man selbst fliegt und sicher landet, desto weniger gefährlich erscheint das Fliegen. Und je öfter man tosenden Wellen standhält, desto schneller verschwindet die Angst vorm Meer.
c) Steigere langsam die Dosis der Übung, sobald Du Dich mit der ersten Dosis sicher fühlst. Beispiel: anstatt andere Kletterer zu beobachten, sollte man selbst mit kleinen Klettertouren beginnen. Oder man meldet sich freiwillig, um Projektergebnisse vor dem beteiligten Team und anderen Studenten zu präsentieren. Diese Dosis-Steigerung sollte solange vorgenommen werden, bis die ursprüngliche Angst verschwunden ist. Also bis zu der Ersteigung des Mont Everest, einer Rede vor Hunderten von Leuten oder einem Segeltörn auf offener See.
Auch wenn die Angst vielleicht nie ganz verschwinden wird, wird sie so dennoch die Macht über Dich verlieren. Das verhindert, dass Du wichtige Ziele aus Angst gar nicht erst angehst, und trägt dazu bei, dass Du ein vielfältigeres Leben genießen kannst. Dazu ein Zitat von Mark Twain:
“Courage is not the absence of fear. It is acting in spite of it.”
3) Effizienznachweis der Übung
In einem wissenschaftlichen Versuch bekamen die Testpersonen jedes mal, wenn sie einen blauen Hai auf ihrem Computer Screen sahen, einen leichten elektrischen Schock – das sollte ihre Angst vor Haien konditionieren, messbar am Schweiß auf der Haut. Am nächsten Tag wurden sie wiederholt mit dem Bild konfrontiert, diesmal allerdings ohne Schock. Dadurch verloren sie wieder ihre Angst vor dem blauen Hai, und zwar für Jahre.
Abschließend noch ein Ausblick auf weitere Trainingseinheiten mit hoher Krisenrelevanz: neben der aktiven Bekämpfung von Ängsten kommt es in kritischen Situationen vor allem darauf an, sich immer wieder schnell von Niederlagen oder Enttäuschungen zu erholen. Der entscheidende Schlüssel zu dieser Regenration ist Mitgefühl mit sich selbst – siehe dazu die folgenden Blogbeiträge:
– Glücksgebot in Krisenzeiten (1): Habe Mitgefühl mit Dir selbst
– Glücksgebot in Krisenzeiten (2): Übe Mitgefühl mit Dir selbst
[1] Ergebnis einer Umfrage zum Thema „Glück“ unter 1.757 Mitgliedern des LISA Freundeskreises, der Online-Community der Zeitschrift LISA: 93,4 % empfinden Glück, wenn sie etwas schaffen, das sie sich vorher gar nicht zugetraut hätten – der höchste Wert unter 25 abgefragten Glücksfaktoren